MFDB054 In Krisen

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Brauchen wir wirklich noch einen Wenderoman, noch eine Beschreibung der großen Freiheit und des Künstlerlebens hinter rußgeschwärzten Gründerzeitfassaden in der Hauptstadt der DDR im letzten Jahr ihrer Existenz? Wir meinen ja, denn Lutz Seiler hat nicht nur die Odyssee des ihm etwas ähnelnden Carl durch die Kohlenkeller, Schrottateliers und Strohmatratzenlager Ostberlins nach dem Mauerfall nachgezeichnet, sondern auch von der sonderbaren Reise seiner Eltern durch die Aufnahmelager und Leiharbeiterhöllen der letzten Tage der alten BRD erzählt. Wir waren ganz angetan, und manches wussten wir schon. Christian Baron hat ganz im autofiktionalen Stil der Französinnen und Franzosen, über die wir so oft sprechen, ein Buch über einen Mann seiner Klasse geschrieben, das ehrlich, aber nicht brutal sein will. Den Fremden von Albert Camus haben wir eigentlich antizyklisch lesen wollen, nun aber ist das Thema des Romans, in dem ein Araber von einem Franzosen ohne Grund erschossen wird, plötzlich wieder aktuell. Und auch über Matthias Horx sprechen wir, dessen Mut, über die Zukunft Aussagen treffen zu wollen, nach allem, was war, uns imponiert und etwas ratlos macht. Vier Bücher, drei davon gelesen, mehr als eine Stunde Bücherradio von Baum & Frey. Das war ein großer Spaß!

1.) Lutz Seiler: Stern 111
2.) Christian Baron: Ein Mann seiner Klasse
3.) Albert Camus: Der Fremde
4.) Matthias Horx: Die Zukunft nach Corona

9 Kommentare

  1. Mir ist aufgefallen, das ihr euch bei Büchern mit DDR-Bezug oft als vermeintlich unwissende Westdeutsche geiselt. Ich finde das einerseits rührend aber auch etwas übertrieben. Mein Eindruck ist, das ihr eine recht informierte und differenzierte Haltung zu dem Themen-Komplex habt.

    Im Gegenzug würde mich als Ostberlin-Sozialisierte interessieren, welche Bücher es gibt, um die alten Bundesländer besser zu verstehen. In euren Unterhaltungen kommen die oft ziemlich schlecht weg. Auch bei Gesprächen mit westdeutschen Neuberlinern gibt es häufig eine eher negative Sicht. Wo ist eigentlich die “coole BRD”, wie Biller sie mal bezeichnet hat?

  2. Zu Camus „Der Fremde“ hat der Schriftsteller Kamel Daoud vor ein paar Jahren eine Art Gegendarstellung geschrieben – aus der Sicht des getöteten Arabers, „der Fall Meursault“. Ich halte „der Fremde“ für ein großartiges Buch, aber Daoud hat mir noch mal eine ganz andere Sichtweise eröffnet. Beim hr gibt es aktuell eine Hörspielfassung, ohne die zu kennen, würde ich empfehlen, das Buch zu lesen. https://www.hr2.de/podcasts/hoerspiel/der-fall-meursault–hoerspieldrama-von-kamel-daoud,podcast-episode-72960.html

  3. Bitte Lutz Seiler mehrfach lesen. Das könnte gegen diese eingeschränkte empathielose westdeutsche Perspektive helfen. Sehr erschreckend, zumal beide Podcaster behaupten, Berlin zu kennen, weil sie seit Jahrzehnten in dieser Stadt wohnen. Wie blind und taub kann man sich durch seinen Berliner Alltag bewegen? Bitte die Referenzen zur eigenen Autorentätigkeit besser abwägen, wirkt überheblich/unangemessen.

    • Ja, witzig, ein anderer Kommentar in diesem Thread behauptet was den Zugang zu DDR-Themen angeht, genau das Gegenteil. Uns mangelnde Empathie zu unterstellen ist, pardon, eine Unverschämtheit, die Du Dich nur traust, weil Du hier anonym kommentierst. Ich lebe seit 1990 in Ostberlin und traue mir trotz meiner Herkunft eine gute Urteilsfähigkeit zu. Und dass wir schreiben, werden wir auch künftig nicht verschweigen, alles andere wäre feige. Trotzdem danke für die Kritik.

  4. Hallo, die Kommentare werden nicht mehr angezeigt.

  5. Ich muss gestehen, dass mir der letzte Teil über Corona-Maßnahmen sehr schwer aufgestoßen ist. Natürlich ist man ein knappes Jahr später deutlich schlauer, aber vieles wusste man auch letztes Jahr schon.

    Zwei Punkte haben mich besonders gestört:
    * Zur Frage ob zu schnell entschieden wurde: Die WHO hat ganz von Anfang an die Losung ausgegeben, dass es wichtiger ist schnell zu handeln als richtig. Wer wartet bis er 100% sicher ist, kommt zu spät. Nach einem Jahr Pandemie kann man getroßt sagen: Die WHO hatte Recht.
    * Dass Masken helfen ist/war eigentlich im wissenschaftlichen Konses unumstritten. Sätze wie “es gibt diese Meinung” mögen in der Literatur legitim sein, aber Wissenschaft ist eben keine Literatur. Man erweckt einen falschen Eindruck, wenn man dort Meinungen gleichberechtigt darstellt. Es gibt auch die Meinung, dass die Erde eine Scheibe ist… Ich würde mir da etwas mehr Sensibilität wünschen, dafür dass Wissenschaft anders funktioniert und auch besprochen werden sollte als Literatur.

    • einverstanden, auch mit der Einschätzung, was WHO und Masken angeht – ich hätte nur einen Einwand, was die Gleichwertigkeit von Ansichten über Masken angeht: Ich gebe zu bedenken, dass noch im Oktober der Präsdident der Bundesärztekammer sich bei Lanz gegen Masken ausgesprochen hat, bzw sie für wenig hilfreich hielt. Das heißt nicht, dass diese Ansicht richtig ist, aber sie ist doch auf jeden Fall diskutabel. Es war eine unter verschiedenen Expertenmeinungen zu Masken. Gerade die Wissenschaft nimmt doch für sich in Anspruch, irren zu dürfen – dann kann man das als Beobachter doch auch so feststellen.

      • Ja, Platz für unterschiedliche Einschätzungen und insbesondere Irrtum muss gerade in der Wissenschaft sein. Aber gerade bei einer solchen Lage dann eben auch mit der notwendigen Sorgfalt und Differenzierung.

        Ich bin da mittlerweile auch hypersensibel wegen Querdenkern und Co, die systematisch die Grenzen zwischen legitimier Kritik und völligem Quatsch verwischen wollen. Das macht den Diskurs für alle anderen natürlich schwerer, aber ich sehe keine andere Lösung als die Grenze umso strenger zu beachten.

        Wie auch immer – danke für die Antwort und natürlich den großartigen Podcast – ich freue mich schon auf die nächste Folge!

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