DI082 Was in der Finanzwelt falsch läuft (Gerhard Schick, Bürgerbewegung Finanzwende)

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Was hat die Welt aus der Finanzkrise gelernt? Was läuft heute noch falsch im Finanzsystem und wie erklärt man Laien das CumEx-Abzock-System?

Um diese und andere Fragen zum aktuellen Banken- und Finanzsystem zu besprechen, hat sich Philip Banse mit Gerhard Schick verabredet.

Gerhard Schick war lange Finanzpolitiker der Grünen im Bundestag, hat den Untersuchungsausschuss “CumEx” angestoßen ist dann aber aus dem Parlament ausgeschieden und hat die “Bürgerbewegung Finanzwende” gegründet, ein Verein, der sich für ein gerechteres, Gemeinwohl orientiertes Finanzsystem einsetzt.

13 Kommentare

  1. Also vieles ist nicht so neutral und auch reißerisch formuliert. Da kann der Ex-Politiker wohl nciht aus der Haut. Schön, dass es das gibt und ich fand es interessant. Aber seinem Anspruch “Da können Journalisten oder Abgeordnete hingehen und neutrale Infos bekommen” kommt anders rüber. Meine Wahrnehmung ist, dass es sich zwar um Informationen handelt, die nicht von den Banken kommen, aber dennoch stark Interessen geleitet. Auch wenn es am Ende sicher gute Interessen sind, aber es wäre vielleicht ehrlicher, wenn man das Label “A B’90/Grüne Lobby-Organization” drauf geklebt hätte.
    Es ist lediglich einer dieser Vereine, die zwar eine gute Idee haben (wie die Sparkassen. 😉 ), aber dann doch nur wie Geldbeschaffungen für Ex-MdB wirken – hätte er ja auch als Firma machen können, statt als Verein.
    Schade, dass Du, lieber Philip, das nicht auch bemerkt oder zumindest angesprochen hast.

    • Natürlich ist der Verein eine Interessenvertretung: für Interessen von Bürger und Bürgerinnen. Als Gegengewicht zu den Interessenvertretungen der Industrie. Daraus macht niemand einen Hehl. Ich kann nicht für Gerhard Schick sprechen, aber aus vielen anderen NGO weiss ich: Wenn jemand primär Geld verdienen will, gründet er keinen Verein zur Vertretung von Bürgerinteressen. Du sagst es selber: Dann hätte er eine Beratungsfirma gründen müssen.

    • Sorry, aber das sehe ich völlig anders.
      Das ist ein gutes, klares, offenes Interview. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit der Finanzbranche und habe VWL / Finance studiert. Diese Infos haben nichts mit reißerisch zu tun, sondern entsprechen leider den Fakten. Wer das nicht sieht, hat nichts von der Finanzkrise 2008 ff verstanden.
      Ein zweiter Fehlschluss: Wenn man sich Geld beschaffen will, dann steigt man nicht freiwillig aus dem Bundestag aus und gründet eine NGO. Herr Schick könnte mit seinem Know How viel Geld bei einem Bankenverband oder bei Blackrock verdienen, aber stattdessen verzichtet er auf ein sicheres Einkommen und engagiert sich im Interesse der Gesellschaft in einer NGO, einer der schlecht bezahltesten “Branchen” überhaupt.
      Pls think again about that…. es gibt so viele gute Bücher von guten Leuten über das Marktversagen des Finanzsektors – ich empfehle sehr gerne was.

  2. Die Frage, die sich mir stellt, ist, wie denn der ahnungslose Kunde, den sein Bankberater gratis suboptimal berät, sicher sein kann, dass er bei einer kostenpflichtigen Beratung nicht ebenso suboptimal beraten wird. Immerhin bestünde der Anreiz für Berater weiterhin, Produkte zu empfehlen, für die sie Provisionen der Anbieter erhalten, sodass Einnahmen vom Kunden wie vom Anbieter erzielt würden. Wenn der Supermarktkunde schon nicht sicher sein kann, dass das teurere Produkt im Regal auch das bessere ist, wie soll der Beraterkunde dann hier sicher sein können, dass die Beratung ihr Geld wert ist?

  3. Hallo Philip,

    kann sich der Staat (bzw. in diesem Falle die Staatsanwaltschaft) das eigentlich aussuchen ob bzw. wann und gegen wen sie in diesem Cum-Ex, Cum-Cum, Cum-Irgendwas Kuddelmuddel ermittelt, anklagt und vor Gericht stellt? Vielleicht kannst Du das ja bei Gelgenheit mal mit Ulf besprechen welche Handlungsspielräume da vorliegen und warum da gefühlt so wenig passiert (wenn ihr das schon besprochen haben solltet, sorry wäre mir nicht mehr erinnerlich).

    Denn das es bei solch immensen Schadenshöhen Jahre dauert (inkl dem Eintritt von Verjährung in vielen Fällen) und dann so 2,5 geständige Menschen vor Gericht landen, erscheint mir irgendwie “falsch” bzw. würde ich gern verstehen wieso das so ist und ob der Staat nicht eigentlich verpflichtet wäre das besser (strafrechtlich) aufzuarbeiten. In anderen Gebieten (oder vielleicht auch bei anderen Tätergruppen) erscheint mir die Zurückhaltung da irgendwie doch wesentlich geringer beim ermitteln und anklagen?!

    Ansonsten wie immer ein informatives Gespräch und vielen Dank
    Marek

  4. Interessantes Thema und Interview, danke. Anders als mein Namensvetter unter den Kommentatoren empfand ich Herrn Schick eigentlich gerade nicht so, dass er für die eigene Partei geworben hätte. Ich finde es auch schwierig, wie er frühere oder aktuelle Bundesregierungen hätte kritisieren können, ohne dass man es als Partei-motiviert interpretieren könnte… sprich: “wie hätte er es denn überhaupt besser machen können?” muss man sich ja auch erstmal fragen.

  5. Interessant war, dass regulatory capture/coporate capture vorkam. Das ist auch sicher richtig. Und in einer ganz normalen, standardökonomischen Analyse ergeben sich daraus auch klare Implikationen: Möglichkeiten & Anreize für Firmen zum capture senken; Anreize absenken für Mitarbeiter in den Regulierungsbehörden (z.B. höhere Löhne), Möglichkeiten wegnehmen (z.B. keine revolving door, längere Abkühlzeiten); Leute anders auswählen (höhere intrinsische Motivation). Oder, extrem platt: “nur die guten Menschen sollen Regulierer werden”.
    Das greift aber zu kurz. Sehr schön kann man das an den umfangreichen Aufzeichnungen von Carmen Segarra sehen, bei der NY Fed für die Aufsicht & Kontrolle von Goldman Sachs eingeteilt.[1] Und obwohl (oder gerade weil) es dort gar nicht spezifisch darum geht, worauf ich hinaus will, ist es so ein gutes Beispiel:
    In der Praxis ist es so geregelt, dass die „überwachenden Personen“ beim zu überwachenden Institut in einem gewissen Sinne zu Gast sind: sie bekommen im Hause Räumlichkeiten, bekommen dort Infrastruktur zur Verfügung gestellt, etc. In den Schilderungen aus der Praxis findet sich auch ein Bericht darüber, wie –auch beim objektivsten Anspruch- ein neuer „Aufseher“ spürt, wie es ihm von Woche zu Woche schwerer fällt, die (gesetzlich gebotene) Strenge aufrecht zu erhalten gegenüber Goldman Sachs bzw. den dort arbeitenden Personen, bei denen er tagtäglich vor Ort sitzt. Es ist einfach schwer, wenn man bei Leuten sitzt, die einem was geben (Unterkunft, Equipment, etc.), die auf Dauer so zu behandeln, dass man ihnen “was kaputt macht”; auch wenn es der eigene Job wäre. Gerade wenn man ja auch noch aus der “gleichen Branche” gefühlt kommt (ob Bafin oder Bank — irgendwie ist man ja einfach Teil der Finanzwelt).
    Diese Erkenntnis ist der PsychologIn oder dem Nichtstandard-, sondern Instutionen-Ökonomen nicht neu, aber sie ist wichtig und spielt in der öffentlichen Diskussion keine Rolle: es geht um psychologische Gründe, warum sich ein jeder im Laufe der Zeit schwerer tut… und nicht darum, dass die Aufseher schlechte Menschen, unfähig oder kühl-rational ihr zukünftiges Gehalt maximieren, indem sie heute freundlich regulieren.
    Darum ist es auch kein Wunder, dass man bei der Bafin oder dem Finanzministerium, wo man durchgehend nur mit der Finanzbranche zu tun hat, sich anders verhält als z.B. beim Bundesrechnungshof, der sich ja “um alles kümmert” und darum das spezifische Nahe-Kommen nicht erlebt.

    [1] https://en.wikipedia.org/wiki/Carmen_Segarra -> Audiophilen sei der This American Life Podcast dazu empfohlen; Leute, die lieber lesen seien auf den Propublica Artikel verwiesen.

  6. Vielen Dank für die ruhige Art der Gesprächsführung und interessanten Gedanken. Einige Punkte fände ich aber – auch für Journalisten – nachfragenswert:

    – Warum gibt es nur Wechsel von Behörden in die Wirtschaft und nicht umgekehrt? Z.B. ist es sehr unüblich bis nahezu ausgeschlossen, dass ein Steuerberater/Anwalt/Wirtschaftsprüfer einer Bank, Anwaltskanzlei oder Big4 in das BMF oder ein Finanzamt wechselt. Das Gesetz lässt es schlicht kaum zu und Arbeitsstellen werden von unten nach oben über Beförderungen vergeben (z.B. Art. 23 BayerischesBeamtengesetz mit 45 Jahren ist Schluss). Da wäre also erstmal der Gesetzgeber berufen, die Öffnung der Regelungen für Beamte zu ermöglichen. In Großbritannien ist der Wechsel aus der Wirtschaft in die Verwaltung und zurück viel mehr üblich und dementsprechend ist dort auch Expertenwissen in der Verwaltung vorhanden.

    – CumEx und CumCum wird gern vermengt, hat aber nichts – aber auch gar nichts miteinander zu tun. Außer das Wort Cum… Der deutsche Gesetzgeber (und das BMF welches die Gesetze vorbereitet) hat bei einer speziellen Regelung des Einkommensteuergesetzes europarechtlich versagt (https://blog.handelsblatt.com/steuerboard/2018/07/16/§-50d-abs-3-estg-endgueltig-europarechtswidrig/).

    Bei CumCum Geschäften soll dieser Zustand der Europarechtswidrigkeit der Dividendenbesteuerung nun durch eine steuerliche Gestaltung beseitigt werden. Hier geht es nicht um mehrfache Anrechnung von Kapitalertragsteuer – hier geht es um Diskriminierung von EU Ausländern gegenüber Deutschen. Herr Schick wirft das gerne alles in einen Topf und “zaubert” so einen Schaden in Fantastillionen herbei.

    Richtig ist doch vielmehr, dass der Staat alle Mittel in der Hand hat, sich das Geld wieder zu holen. Und der Staat macht dies auch.

    Banken sind üblicherweise liquide und sie bezahlen alle hinterzogenen Steuern + eine üppige Verzinsung von 6% pro Jahr. Das bekommt man seit 2010 nirgendwo. Wenn eine Bank also heute aus CumEx Steuern z.B. aus dem Jahr 2010 zurückzahlen muss (10 Jahre Verjährung von Steuerhinterziehung), dann gibt es nochmal knapp 45% Zinsen oben drauf (§ 233a AO).

    – Herr Schick lobt ja die Eigenkapitalausstattung in Kanada und meint, in den USA seien eher geringe Quoten und in Europa eher hohe Quoten das Problem. Ein Blick auf die Zahlen bringt das Gegenteil zu Tage: https://www.ey.com/Publication/vwLUAssets/EY_Analyse_Top-Banken_USA_vs._Europa_-_April_2018/$FILE/EY-Analyse%20Top-Banken%20Europa%20vs%20%20USA%202017.pdf

    Unwidersprochen wird das zum Narrativ und ist leider für Herrn Schick typisch. Wo er recht hat – es gibt zu wenige Experten. Auch zu wenige Experten, die sich trauen ihm zu widersprechen.

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